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Fuchs, M., & Funke, F. (2009).
Die Video-unterstützte Online-Befragung: Soziale Präsenz, soziale Erwünschtheit und Underreproting sensitiver Informationen

In N. Jackob, H. Schoen & T. Zerback (Hrsg.): Sozialforschung im Internet: Methodologie und Praxis der Online-Befragung (S. 159-180). Wiesbaden: VS.

 
 
Zusammenfassung
 
Die Online-Befragung schickt sich an, einen bedeutsamen Platz unter den gängigen Datenerhebungsmethoden zu erobern. Ein Blick in die Jahresstatistik des ADM (Arbeitskreis deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute, 2006) zeigt, dass mittlerweile ein gutes Fünftel der in den privaten Umfrage-Instituten laufenden Studien als selbst-administrierte Online-Befragung durchgeführt wird und auch in den akademischen Einrichtungen steht diese Befragungsmethode zusehends hoch im Kurs. Mitte der 1990er Jahre wurde die Methode der standardisierten Befragung vorwiegend von technisch Interessierten im Gewand der Online-Befragung neu erfunden; mittlerweile haben aber die etablierten Konzepte der Kognitionspsychologie (Sudman, Badburn, & Schwarz, 1996) und der Survey Methodologie (Groves, Fowler, Couper, Lepkowski, Singer, & Tourangeau, 2004) Einzug in die Diskussion gehalten, was die Entwicklung und Evaluation dieses Befragungs-Modes professionalisiert und ein Bewusstsein für Probleme der Datenqualität geschaffen hat. Entsprechend hat sich die Methodenforschung in den letzten Jahren systematisch mit der Güte der durch Online-Befragung gewonnenen Daten beschäftigt und kommt zu einem zufriedenstellenden Ergebnis: Es liegen eine Fülle von methodischen und methodologischen Evaluationen (z. B. Couper, Traugott, & Lamias, 2001; Couper, 2005) dieser neuen Befragungsart vor, die zeigen, dass die erarbeiteten Standards der empirischen Sozialforschung mit den technischen und methodischen Möglichkeiten des neues Befragungsmediums sinnvoll vereint werden können und dadurch Daten von akzeptabler Qualität entstehen (z. B. Bandilla, Bosnjak, & Althofer, 2001; Bosnjak, 2003; Funke, 2007).
 
Seit den frühen Jahren der Online-Befragung wurde die These vertreten, dass diese nicht nur als gleichwertig zu anderen Formen der selbst-administrierten Befragung – vor allem der schriftlich-postalischen Befragung – anzusehen sei, sondern dass sie darüber hinaus die Chance biete, durch die Einbeziehung multimedialer Elemente zu Messungen zu gelangen, die mit Hilfe der klassischen selbst-administierten Studien nicht möglich sind. Online-Fragebögen seien also nicht bloß eine digitalisierte Variante von Papierfragebögen (Funke & Reips, 2007). Diese Annahme wurde vor allem durch die Hoffnung genährt, dass durch den Einsatz von multimedialen Elementen die Begrenzung auf die schrift-sprachliche Vermittlung der Fragestimuli überwunden werden könne. Allerdings hat es bis ins frühe 21. Jahrhundert gedauert, bis Hard- und Software sowie die Datennetze genug Leistung boten, um in nennenswertem Umfang Bilder, Grafiken und Ton in die Online-Befragungen zu integrieren. Die Nutzung dieser multimedialen Elemente und die Erforschung ihres Einflusses auf die Qualität der gewonnenen Daten stecken bisher noch in den Anfängen. Bisher dominiert in der Online-Befragung aber nach wie vor eine text-basierte Vermittlung der Fragen. Zwar gibt es bereits eine Reihe von Studien, in denen Bildmaterial oder Video-Clips integriert sind, auf denen beispielsweise von den Befragten zu beurteilende Logos, Produkte oder Werbe-Spots zu sehen seien. Bisher aber bleibt der Fragestimulus auch bei Verwendung von Bildern oder Videos text-basiert, d. h. die Fragen werden text-basiert auf dem Bildschirm präsentiert. Eine erste Erweiterung dieses Ansatzes erfolgte in Studien, in denen zusätzlich zum Fragetext Bilder gezeigt werden, die die perzipierte Bedeutung des Fragetexts in eine bestimmte Richtung lenken (Couper, Tourangeau, & Kenyon, 2004; Couper, Tourangeau, & Conrad, 2007). Der Fragetext selbst bleibt aber auch in diesen Studien schrift-sprachlich. Zwar liegen mit A-CASI bzw. AV-CASI bereits Techniken zur auditiven bzw. audio-visuellen Vermittlung des Frageinhalts vor, in Online-Befragungen wird davon aber bisher kein Gebrauch gemacht.
 
Um einen Beitrag zur Untersuchung dieser Lücke zu leisten, analysieren wir am Beispiel zweier feld-experimenteller Studien den Einfluss der Verwendung von Video-Clips in Online-Befragungen, auf denen ein Interviewer zu sehen ist, der die Fragen vorliest. Anstelle einer schriftlichen Vermittlung der Frage-Konzepte setzen wir dabei auf den audio-visuellen Übertragungskanal. Wir experimentieren damit, ob und gegebenenfalls in welcher Weise mit der Video-Unterstützung in Online-Befragungen ein Brückenschlag zwischen der traditionellen selbst-administrierten Befragung und der interviewer-administrierten Befragung geleistet werden kann.
 
Abgesehen davon, dass sich dieses Vorgehen für die Untersuchung spezieller Populationen (z. B. für die Befragung taubstummer Personen mit Hilfe der Gebärdensprache oder von Analphabeten; Gerich, Lehner, Fellinger, & Holzinger, 2003; Gerich & Lehner, 2006) eignet, liegt unserer Auffassung nach der Vorteil in zwei weiteren Besonderheiten: Zum einen führt die Verwendung von Videos im Vergleich zu den klassischen Formen der selbst-adminsitrierten Befragung (einschließlich der traditionellen text-basierten Online-Befragung) zu einer Erweiterung der verwendeten Kommunikationskanäle, wodurch die Fragekonzepte besser vermittelt und dadurch das Frageverständnis intensiviert wird. Zum anderen gehen wir davon aus, dass eine video-unterstützte Online-Befragung für die Befragten kurzweiliger und einnehmender ist und daher eher bearbeitet wird.
 
Insbesondere der ersten Fragestellung gehen wir im vorliegenden Beitrag nach: Um den Einfluss eines vorab aufgezeichneten Video-Interviewers auf zentrale Größen der Datenqualität zu untersuchen, haben wir in zwei Online-Befragung (Fuchs & Funke 2007b, 2007c) eine Reihe randomisierter Feldstudien eingebaut, in denen wir die klassische text-gestützte Online-Befragung mit dem Video-Modus verglichen haben. Im Mittelpunkt standen dabei die Messung sozialer Erwünschtheit, sozialer Präsenz, Over- und Underreporting bei heiklen Fragen.